Die Migrationsberatung und der Job-Turbo
Die Unterstützung der Arbeitsmarktintegration von zugewanderten Menschen gehört zu den zentralen Themen der Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte. Die MBE-Stellen begleiten Zugewanderte bei der Planung ihres Berufs- oder Ausbildungsweges, unterstützen sie bei der Anerkennung von Qualifikationen und vermitteln sie in Sprachkurse. Die MBE steht Ratsuchenden in ihrem Dialog mit der Arbeitsverwaltung zur Seite.

Der Job-Turbo der Bundesregierung
Mit dem im Oktober 2023 vorgestellten Job-Turbo zielt die Bundesregierung darauf, Schutzsuchende nach Abschluss des Integrationskurses schneller in den Arbeitsmarkt zu bringen. Insbesondere sollen Geflüchtete eine Arbeit schon aufnehmen können, wenn sie noch geringe Kenntnisse der deutschen Sprache haben. Um dieses politische Ziel zu erreichen, sollen verschiedene Akteure eng zusammenarbeiten. Hierzu gehören öffentliche Einrichtungen wie die Jobcenter, Arbeitgeber*innen, die Geflüchteten sowie das gesellschaftliche Umfeld, zu dem auch die Beratungsstellen zählen. Unter anderen sollen die Jobcenter die zur Zielgruppe gehörenden Menschen häufiger zu Gesprächen einladen und ihnen Vermittlungsvorschläge unterbreiten. Parallel zu einer über diesen Weg vermittelten Arbeit sollen Geflüchtete dann berufsbegleitend weitere Sprachkenntnisse erlangen.
Zielgruppe des Job-Turbos sind Geflüchtete mit einem Aufenthaltstitel und Zugang zum Arbeitsmarkt, die aktuell Bürgergeld beziehen und bereits einen Integrationskurs besucht haben. Menschen im laufenden Asylverfahren sowie Geduldete, die (noch) kein Bürgergeld beziehen, gehören damit, auch wenn sie in sehr vielen Fällen über einen Zugang zum Arbeitsmarkt verfügen, nicht zur ersten Zielgruppe des Job-Turbos. Die Bundesagentur für Arbeit sieht insgesamt ein Potenzial von bis zu 400.000 Menschen, die mit dem Job-Turbo schneller eine Arbeit aufnehmen könnten.
Die Bundesregierung hat Daniel Terzenbach (Vorstand Regionen der Bundesagentur für Arbeit) zum „Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten“ ernannt, der mit seinem Stab die Umsetzung der Maßnahmen koordiniert und als Mittler zu den Arbeitgebern fungieren soll.
Die Herausforderungen mit dem Job-Turbo
Hinsichtlich der Umsetzung des Job-Turbos aus Sicht der MBE berichtet Markus Saxinger vom Zentrum für Schule und Beruf (zsb) beim DRK KV Bremen: „Der Gedanke, dass Geflüchtete schneller in Arbeit kommen, ist einerseits wichtig und gut. Andererseits gibt es bei der raschen Arbeitsmarktintegration verschiedenen Hürden, die auch trotz Job-Turbo fortbestehen.“ Dazu gehören etwa institutionelle Zugangshürden, persönliche Herausforderungen wie die Kinderbetreuung, die Frage des Zugangs zum Spracherwerb, die Schwierigkeiten bei der Anerkennung von bestehenden Qualifikationen oder die psychischen Folgen einer Flucht. Vor dem Hintergrund der angestrebten Beschleunigung des Arbeitsmarktzugangs rückt zudem eine ohnehin bestehende Herausforderung besonders in den Mittelpunkt: Wie lässt sich dafür Sorge tragen, dass Menschen bei einer Vermittlung Arbeitsplätze finden, die zum einen zu ihrer Lebenswirklichkeit passen und zum anderen ihrem Qualifikationsniveau entsprechen? All diese Fragen waren schon immer wichtige Themen in der Beratungsarbeit der MBE-Stellen.
Markus Saxinger (DRK Bremen) und Friederike Menzemer (Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe) weisen in diesem Zusammenhang auf eine Gefahr hin, die mit dem Ziel der schnellen Arbeitsmarktintegration einhergehen kann. Demnach sei zu beobachten, dass sich bei vielen Jobcentern der Fokus von Spracherwerb und Qualifizierung hin zu einer möglichst raschen Arbeitsaufnahme verschoben habe. Sie haben nach den Rückmeldungen aus den MBE-Stellen auch den Eindruck, dass die Bewilligungen von Sprachkursen (insbesondere für das Niveau B2 und höher) und Weiterbildungen seit Einführung des Job-Turbos zurückgefahren worden seien. Und während zuvor insbesondere jüngere Menschen dabei unterstützt worden seien, nach dem Spracherwerb eine Ausbildung zu absolvieren, werde in einigen Fällen die duale Ausbildung oder eine passende Weiterqualifizierung nun zugunsten der schnellen Arbeitsaufnahme zurückgestellt. Die Beratungsstellen würden auch feststellen, dass die Jobcenter hinsichtlich der Kostenübernahme für die Übersetzung von Zeugnissen – eine Voraussetzung, um im Ausland erworbene schulische und berufliche Qualifikationen anerkennen zu lassen – zurückhaltender geworden seien. Friederike Menzemer (Diakonie Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe) berichtet weiter: „Die MBE erleben, dass Integrationskurse vor Abschluss durch Zugewanderte abgebrochen werden, weil ihnen die Vorteile der schnellen Arbeitsaufnahme seitens der Jobcenter angepriesen werden. Das ist sowohl hinsichtlich der gesellschaftlichen Kosten für Integrationskurse sowie für die persönliche und gesellschaftliche Gestaltung der nachhaltigen Integration – bis hin zu den Sprachanforderungen für eine zukünftige Einbürgerung – schädlich.“
In der Praxis wirken nach Einschätzungen aus der Migrationsberatung mehrere Probleme zusammen: Bei der Arbeitsaufnahme schon während des Spracherwerbs seien für Menschen mit noch begrenzten Deutschkenntnissen vorwiegend Arbeitsstellen im Niedriglohnbereich verfügbar, bei denen Sprachkenntnisse keine sehr große Rolle spielen (etwa in Warenlagern oder im Reinigungsgewerbe). Zugleich handele es sich im Niedriglohnbereich vielfach um kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse. So bestehe die Gefahr, dass die vermittelten Menschen nach einiger Zeit wieder bei Jobcentern vorstellig würden, ohne die Gelegenheit gehabt zu haben, ihre Sprachkenntnisse nachhaltig zu verbessern. Darüber hinaus könne nach Einschätzung der MBE-Stellen das von der Bundesregierung formulierte Ziel, aus der Fokusgruppe des Job-Turbos dringend benötigte Fachkräfte zu gewinnen, nur schwerlich gelingen, wenn diese Menschen nicht die Zeit erhalten würden, die für die jene Arbeitsplätze notwendigen Sprachkenntnisse zu erlangen und ihre Qualifkationen nachzuweisen. Das von allen Akteur*innen geteilte Ziel einer nachhaltigen Arbeitsmarktintegration könnte so misslingen.
„Wenn Fachkräfte in den Niedriglohnsektor getrieben werden, läuft etwas falsch,“ sagt Friederike Menzemer (Diakonie RWL). „Denn dort sind Spracherwerb und Weiterqualifikation kaum machbar. Wir verfestigen so prekäre Beschäftigung und verhindern sozialen Aufstieg.“ Friederike Menzemer fordert daher: „Wir brauchen eine Gestaltung der zügigen Arbeitsmarktintegration, die den grundständigen Deutscherwerb bis mindestens B1 ermöglicht und gut verzahnt mit Sprachkurs- und Arbeitsmarktträgern sowie Arbeitgeber*innen wird. Wir sehen gute Ansätze in der Einbindung von Unternehmen, aber der Blick auf die Anerkennung bestehender Qualifikationen und die Weiterbildung zur Fachkraft findet derzeit oft nur auf dem Papier statt.“
Für den berufsbegleitenden Spracherwerb hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Ende Januar 2024 das Förderprogramm „Job-Berufsprachkurse“ (Job-BSK) eingeführt, das die bisherigen Berufssprachkurse ergänzt und sich stärker als diese am jeweiligen Arbeitsplatz ausrichten.
Arbeit der MBE für nachhaltige Arbeitsmarktintegration
In ihrer alltäglichen Arbeit begegnen die MBE-Stellen den Herausforderungen mit dem Job-Turbo sowohl auf struktureller als auch auf individueller Ebene. Zum einen tragen die MBE strukturelle Probleme bei der Umsetzung des Job-Turbos in ihre Netzwerke hinein und besprechen beispielsweise mit Jobcentern oder der BAMF-Regionaldirektion mögliche Lösungen. „Im Kontakt mit den Jobcentern kann die MBE gemeinsam über mögliche Fallstricke bei einer zu frühen oder nicht den mitgebrachten Qualifikationen entsprechenden Aufnahme einer Tätigkeit sprechen und vermitteln“, erklärt Friederike Menzemer von der Diakonie RWL.
Auf der Ebene der individuellen Fälle suchen die MBE-Stellen mit ihrer lebensweltorientierten Beratung, die sich an den Kenntnissen, Bedürfnissen und persönlichen Umständen der Zugewanderten ausrichtet, nach guten Lösungen. So passen, weil die Jobcenter sehr viele Menschen in kurzer Zeit vermitteln, die vorgeschlagenen Arbeitsplätze nicht immer zu den individuellen Fähigkeiten und Lebenslagen der Menschen. Markus Saxinger vom DRK Bremen berichtet: „Bei den Jobcentern können die Einzelfälle oft nicht mit ihren spezifischen Potenzialen gesehen werden. Dafür sind dann wir als Beratungsstellen wichtig. Wir können als ergänzendes Korrektiv zum Jobcenter fungieren, weil wir einen ganzheitlichen Blick auf die beratenen Menschen richten.“ In der Praxis sorgen die MBE-Stellen dann, wie Friederike Menzemer von der Diakonie RWL ergänzt, im Sinne der Ratsuchenden für eine Klärung. Das sei etwa der Fall, wenn sich in der Beratung herausstelle, dass die anvisierte Vermittlung des Jobcenters nicht zu der Planung des Berufsweges der Ratsuchenden passe, das Jobcenter den für die Stelle als Fachkraft notwendigen weiterführenden Sprachkurs nicht finanzieren wolle oder die Frage der Kinderbetreuung nicht berücksichtigt worden sei. Auch beim Abbruch von Integrationskursen, der in der Praxis in verschiedenen Fällen zu beobachten war, in denen das Jobcenter sehr nachdrücklich auf eine rasche Arbeitsaufnahme gedrängt hat, schauen sich die Beratungsstellen den konkreten Fall genau an und beraten entsprechend. Dabei berücksichtigen sie gerade auch, dass für viele Zugwanderte der Besuch eines Integrationskurses verpflichtend ist.
Friederike Menzemer von der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe fasst die Erfahrungen der MBE-Stellen mit dem Job-Turbo wie folgt zusammen: „Der Job-Turbo mobilisiert wichtige Ressourcen in Arbeitsverwaltung, Arbeitgeberschaft und Zivilgesellschaft, um Zugewanderte zügig in Arbeit zu bringen und Zeiten des Leerlaufs, zum Beispiel zwischen Integrationskursen, zu verringern. Das ist gut und wichtig! Die MBE berichten aber, dass dabei häufig seitens der Arbeitsverwaltung zu viel Wert auf die Vermittlung der Zugewanderten statt auf die gemeinsame Planung individuell passender Schritte gelegt wird.“
Zum Weiterlesen
Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Job-Turbo zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten
Bundesagentur für Arbeit, Aktionstage Job-Turbo – Get Work in Germany
Medienberichte
Reportage: „Job-Turbo“ für Geflüchtete. Was bringt das wirklich?, in: WDR vom 17. März 2024
„Jobturbo“ bremst offenbar viele Geflüchtete aus, in: NDR vom 20. März 2024
Warum eine ukrainische Ärztin in Trier als Verkäuferin arbeiten soll, in: SWR vom 23. April 2024