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„Eine wesentliche Rolle bei der Orientierung und Integration.“ Interview zur DeZIM-Studie über die MBE

Im Februar 2025 hat das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) eine Studie über die Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte veröffentlicht. Im Interview ordnet Co-Autorin Sarah Berndt die Studienergebnisse ein.

Dr. Sarah Berndt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am DeZIM-Institut in Berlin und hat die Studie dort gemeinsam mit ihrem Kolleg*innen Begüm Güngör, Niklas Harder und Alina Mocek durchgeführt. Das DeZIM-Institut war nach einem Beschluss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages beauftragt worden, die Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte zu evalulieren.

Frau Dr. Berndt, wie haben Sie am DeZIM die Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte untersucht?

Sarah Berndt: Wir haben die MBE mit verschiedenen Methoden gleichzeitig evaluiert – das nennt man eine Mixed-Methods-Studie. Uns war wichtig, unterschiedliche Perspektiven zu berücksichtigen. Dafür haben wir drei Hauptquellen genutzt. Erstens haben wir Zahlen aus dem internen Controllingsystem der MBE ausgewertet. Diese Daten decken den Zeitraum von 2013 bis 2022 ab und enthalten Informationen zur Anzahl der Beratungen, zu soziodemografischen und migrationsbezogenen Merkmalen der Ratsuchenden sowie zu Wirkungsindikatoren. Zweitens haben wir im Frühjahr 2024 eine Online-Befragung mit den Klient*innen durchgeführt. 1.751 Personen haben daran teilgenommen. Durch diese Umfrage konnten wir die subjektive Sicht der Ratsuchenden auf die Beratung erfassen – also deren Wahrnehmung von Wirkung und Qualität. Auch Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen lassen sich damit analysieren. Drittens wurden 16 qualitative Interviews mit MBE-Beraterinnen geführt – teils online, teils vor Ort. Diese Gespräche bieten wertvolle Einblicke in die Beratungspraxis, typische Problemlagen der Klient*innen und den Einfluss institutioneller Rahmenbedingungen. Sie helfen auch dabei, unerwartete oder nicht-intendierte Wirkungen der MBE besser zu verstehen.

Was sind die zentralen Ergebnisse Ihrer Studie?

Sarah Berndt: Aus der Evaluation lassen sich vier zentrale Ergebnisse ableiten: Erstens sehen wir, dass die MBE trotz gestiegener Mittel unter hohem Druck steht – die Ressourcen reichen in der Praxis kaum aus, um der Nachfrage gerecht zu werden. Das führt zu steigender Arbeitsbelastung. Besonders, weil der Umfang der Förderung zwar gestiegen ist, die genaue Höhe von Jahr zu Jahr aber weiterhin unsicher ist und langfristige Planung darum schwer ist.
Zweitens richtet sich die Beratung vor allem an Neuzugewanderte, die jedoch keine homogene Gruppe sind. Individuelle Lebenslagen erfordern im Einzelfall eine längere oder flexiblere Begleitung, als es die aktuelle Befristung auf drei Jahre nach der Einreise vorsieht. Drittens zeigt sich: Die Beratungsarbeit ist wirksam, weil sie niedrigschwellig, individuell und eng an den Bedarfen der Ratsuchenden ausgerichtet ist und auf Grundlage einer vertrauensvollen Beratungsbeziehung Hilfe zur Selbsthilfe leistet – vor allem durch eine Einzelfallberatung in Präsenz. Die Verweisberatung ist dabei eine zentrale Hilfestellung der MBE, um Ratsuchende bei der rechtlichen und sozioökonomischen Sicherung des Lebens sowie beim Spracherwerb zu unterstützen.
Und viertens belegen unsere Daten eine spürbare kurz- bis mittelfristige Wirkung: Die MBE trägt zur Problemlösung bei, fördert die aktive Teilnahme an integrationsfördernden Maßnahmen, unterstützt die Integration in den Arbeitsmarkt und das Ausbildungssystem, fördert die Eigenständigkeit und verbessert die Lebenslagen der Ratsuchenden. Gleichzeitig sehen wir, dass es noch Herausforderungen gibt – zum Beispiel bei dem Übergang der Ratsuchenden in die Regeldienste. Hier fehlt es oft an interkultureller Offenheit, Sprachmittlung und Lösungsorientierung bei der Prozessbearbeitung, was dazu führt, dass Ratsuchende länger in der MBE bleiben.

Wo sehen Sie die Stärken der MBE?

Sarah Berndt: Als migrationsspezifisches Angebot nimmt die MBE eine wesentliche Rolle bei der Orientierung und Integration ein. Was die MBE dabei besonders stark macht, ist die Mischung aus fachlicher Expertise, interkultureller Kompetenz, einer vertraulichen Beziehungsebene und einer psychosozialen Unterstützung. Die Berater*innen bringen nicht nur fundiertes Wissen zu aufenthaltsrechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen mit, sondern verfügen auch über die sozialpädagogischen, sprachlichen und kulturellen Fähigkeiten, um wirklich gut zu beraten – und das auf Augenhöhe.
Eine weitere Stärke der MBE ist ihre Flexibilität, auf die unterschiedlichen Anliegen und die Diversität der Ratsuchenden einzugehen, das heißt, die MBE holt die Menschen dort ab, wo sie stehen – individuell, bedarfsorientiert und alltagsnah. Die Beratungsarbeit verfolgt dabei immer das Ziel, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten und Orientierung bei der Ankunft in Deutschland zu bieten. Besonders im Vergleich zu anderen Beratungsstrukturen bringt die MBE einen echten Mehrwert mit: Sie ist freiwillig, niedrigschwellig und sensibel. Gleichzeitig ist sie ein professionelles Beratungsangebot, das über tiefgreifendes Spezialwissen verfügt – vor allem im Aufenthaltsrecht, bei sozialen Fragen oder auch beim Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Bildungsangeboten. Durch ihre vermittelnde und interkulturell-sensible Rolle sorgt sie zudem für Aufklärung und Verständnis bei Ratsuchenden und Regeldiensten.

Wenn wir einmal den Blick auf die Ratsuchenden legen: Welche Bedeutung hat die MBE-Beratung für Zugewanderte?

Sarah Berndt: Die MBE ist aufgrund ihres niedrigschwelligen Zugangs sowie der individuellen und bedarfsorientierten Beratungsarbeit zu migrationsspezifischen und allgemeinen Themen sehr wichtig für die Ratsuchenden. So sind die Ratsuchenden der Online-Befragung (sehr) zufrieden mit der MBE. Auch die Ausgestaltung der MBE in Form der sprachlichen Verständigung, der Informationsvermittlung und des Vertrauens in den/die Berater*in werden von einer großen Mehrheit hervorgehoben. Insbesondere die sprachliche Verständigung hat eine besondere Bedeutung, da die Ratsuchenden von sprachlichen Barrieren bei der Nutzung von Regeldiensten berichten. Unsere Evaluation zeigt zudem deutlich, dass die MBE eine kurz- bis mittelfristig wirksame Unterstützung bietet. Die MBE hilft schnell und effektiv bei akuten Problemen – etwa in prekären wirtschaftlichen, gesundheitlichen oder psychosozialen Lebenslagen.

Und mittel- und langfristig?

Sarah Berndt: Darüber hinaus stärkt die Beratung das selbstständige Handeln der Ratsuchenden und fördert ihre Teilnahme an Integrationsmaßnahmen. Die MBE leistet auch einen Beitrag zur strukturellen Integration: Die Daten weisen auf eine steigende Erwerbstätigkeit unter den Teilnehmenden hin sowie auf eine bessere Anbindung an das Ausbildungs- und Arbeitsmarktsystem. Insgesamt trägt die Beratung zu einer spürbaren Verbesserung der Lebenslage bei: Ratsuchende berichten von gesteigerter Lebenszufriedenheit, einem erleichterten Alltag, besserem Verständnis bürokratischer Abläufe und einem gestärkten Willkommensgefühl.
Das mittelfristige Ziel, Ratsuchende in Regeldienste zu überführen, wird trotz aktiver Verweisberatung bisher nur teilweise erreicht. Hier zeigen sich strukturelle Herausforderungen: Regeldienste und Behörden verweisen an die MBE zurück, während sprachliche Barrieren und mangelnde Problemlösungsfähigkeit auf Seiten der Regelstrukturen die Abhängigkeit von der MBE verstärken.

Welche Handlungsempfehlungen leiten Sie aus Ihrer Studie ab?

Sarah Berndt: Zunächst zeigt sich ganz deutlich, dass die personellen und finanziellen Ressourcen der MBE trotz eines gestiegenen Stellenumfangs in der Praxis nicht ausreichen. Die Berater*innen empfinden ihre Belastung als zunehmend, was sich auch am hohen Betreuungsschlüssel zeigt. Deshalb empfehlen wir dringend, die MBE finanziell und personell so auszustatten, dass sie ihren Aufgaben (zum Beispiel Förderung der Integration und des selbstständigen Handelns) auch nachkommen kann. Zugleich sollten ziel- und praxisorientierte Rahmenbedingungen geschaffen werden, die eine bedarfsgerechte und flexible Beratung ohne weiter steigende Arbeitsbelastung ermöglichen. Hierfür ist auch eine Präzisierung des Aufgabenbereichs der MBE und die gleichzeitige interkulturelle Öffnung der Regeldienste erforderlich.
Ein weiterer Punkt betrifft die Zielgruppe der MBE: Auch wenn die MBE primär Neuzugewanderte begleiten soll, zeigt sich, dass diese Gruppe sehr heterogen ist – zum Beispiel was den Zeitpunkt des Zugangs oder die Beratungsdauer betrifft. Hier braucht es mehr Flexibilität: Die Drei-Jahres-Frist zur Beratung sollte im Einzelfall überschreitbar sein. Gleichzeitig braucht es verlässliche Anschlussangebote der Länder und Kommunen, um weiterreichende Bedarfe abdecken zu können. Ansonsten droht, dass bestehende Beratungserfolge verloren gehen, weil die Ratsuchenden im Anschluss nicht adäquat weiter begleitet werden können.

Gibt es auch Empfehlungen über die Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte hinaus?

Sarah Berndt: Ich habe es bereits mehrfach angerissen, ich möchte aber nochmals betonen, wie wichtig die interkulturelle Öffnung der Regeldienste ist. Auch wenn sich die MBE-Berater*innen bereits aktiv um Kooperationen bemühen und zwischen Klient*innen und Behörden vermitteln, wird sich die MBE solange nicht auf ihre Kernaufgaben konzentrieren und das Ziel des Übergangs der Ratsuchenden in die Regeldienste erreichen können, bis Länder und Kommunen nicht vollständig interkulturell geöffnet sind. Damit meine ich, dass sie zum Beispiel auf mehreren Sprachen beraten können und wissen, welchen Einfluss aufenthaltsrechtliche Aspekte auf ihr jeweiliges Beratungsfeld haben. Hierfür bedarf es auf Seiten der Regeldienste in der Verfahrensberatung sprachlicher Anpassungen, kulturellen Fingerspitzengefühls und der Berücksichtigung verschiedener Migrationsbiografien sowie des Verständnisses dafür, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.

Das DeZIM-Institut

Das DeZIM-Institut wurde 2017 als außeruniversitäre Forschungseinrichtung vom Bund, den Bundesländern Berlin und Niedersachsen sowie mehreren Universitäten und Forschungsinstituten gegründet und wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert. Das Institut forscht zu Integration, Migration, gesellschaftlicher Teilhabe und Vielfalt, Diskriminierung und Rassismus und berät in diesen Fragen Politik und Zivilgesellschaft.

Download der Studie

DeZIM-Institut, Evaluation der Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE) 2024. Ergebnisbericht des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung. Berlin 2025

Weiterlesen

DeZIM veröffentlicht Evaluation der Migrationsberatung, Meldung vom 20. März 2025

Hinweis

Dieses Interview spiegelt ausschließlich die Meinung der Interviewten wider.



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