Spotlight Hannover: Die Migrationsberatung in der niedersächsischen Landeshauptstadt und im Umland
Die Beratungsarbeit der MBE in den Kommunen ist davon geprägt, welche Menschen vor allem in die Beratung kommen. Eine wesentliche Rolle spielt auch das Umfeld in Form der Beratungsstrukturen und Netzwerke vor Ort. Zugleich gestaltet die MBE die Aufnahme und Integration von zugewanderten Menschen mit. Die Spotlight-Reihe beleuchtet diese Wechselwirkung zwischen den MBE und ihrem Umfeld in einzelnen Kommunen bzw. Regionen. Den Auftakt bildet Hannover.
Die Rahmenbedingungen
Rund 550.000 Menschen leben in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover. Als Großstadt ist Hannover stark migrantisch geprägt: Jede*r fünfte Hannoveraner*in verfügt nicht über die deutsche Staatsbürgerschaft, wobei ihr Anteil in den Stadtbezirken zwischen 12,5 und 30 Prozent schwankt.[1] Insgesamt haben rund 41 Prozent der Hannoveraner*innen eine Migrationsgeschichte. In den Kommunen im Umland, die zur Region Hannover gehören, leben noch einmal gut 645.000 Menschen. 13,7 Prozent von ihnen haben keine deutsche Staatsbürgerschaft.[2]
Für die neu zugewanderten Menschen in der Region Hannover haben fünf Trägerverbände MBE-Beratungsstellen etabliert: die Caritas, die Diakonie, die Arbeiterwohlfahrt (AWO), das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und der BdV – Bund der Vertriebenen. Alle MBE-Stellen sind sowohl für die Landeshauptstadt als auch das Umland zuständig und beraten teilweise an mehreren Standorten. In ihre Arbeit bringen die Berater*innen viel Erfahrung ein, einige von ihnen arbeiten seit rund zwanzig Jahren für die MBE und waren auch davor schon in der Beratung von zugewanderten Menschen tätig.
Die Ratsuchenden und die Beratungsthemen
Grundsätzlich kommen Ratsuchende aus der gesamten MBE-Zielgruppe in die Beratung. Manche Besonderheiten gibt es aber gleichwohl. Beim BdV, dessem Beratungsstelle vor Ort beim Träger Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (LmDR) angesiedelt ist, liegt der Schwerpunkt auf der Beratung von Spätaussiedler*innen, was historisch gewachsen ist. Entsprechend werden bei der MBE der LmDR in Hannover Spätaussiedler*innen aus ganz Niedersachsen beraten. Gleichermaßen gehören aber auch Geflüchtete aus Ländern wie Syrien oder Afghanistan sowie EU-Bürger*innen, die in der Stadt oder Region Hannover leben, zu den Ratsuchenden. Eine der beiden MBE-Stellen widmet sich ganz der – auf Ukrainisch angebotenen – Beratung von ukrainischen Schutzsuchenden.
Bei der MBE des DRK sind die meisten Ratsuchenden Menschen mit einer Fluchtgeschichte, was nach Einschätzung der Beraterin auch an der räumlichen Lage der Beratungsstelle und der Außenstellen liegt. Insgesamt rund 40 Prozent der Ratsuchenden des DRK stammen aus afrikanischen Staaten. Zu ihnen gehören viele Familien, insbesondere alleinstehende Mütter mit mehreren Kindern. Viele von ihnen hätten, so die DRK-Beraterin, in der Vergangenheit keinen direkten Zugang zu Integrationskursen gehabt oder hätten diese aufgrund von Schwangerschaften unterbrechen müssen. Oft hätte dann auch die fehlende Kinderbetreuung die Kursteilnahme verhindert. Einer der Schwerpunkte der MBE des DRK sei es daher, diese Klient*innen in passgenaue Sprachkurse zu vermitteln. Bei der Diakonie und der Caritas zählen ebenfalls Geflüchtete, EU-Bürger*innen und Zugewanderte aus Drittstaaten zu den Ratsuchenden. Weil die Beratung auch auf Spanisch angeboten wird, suchen viele Ratsuchende aus Kolumbien, Venezuela und weiteren spanischsprachigen Ländern die MBE der Caritas auf.
In ihrer Beratung decken die MBE-Stellen alle Themenbereiche ab, die für neu in der Stadt und im Umland lebende Menschen bedeutsam sind. Dabei stellen sich für die Ratsuchenden nicht alle Fragen gleichzeitig. Ihre Anliegen sind vielmehr abhängig davon, wie lange sie schon in Deutschland leben. Ein Berater der LmDR erläutert: „Bei Ratsuchenden, die ganz neu in Deutschland sind, stehen fast immer die Themen Wohnung, Lebensunterhalt und Sprachkurse im Vordergrund. Fragen zu Arbeit und Ausbildung kommen meist im nächsten Schritt.“ Später seien, wie mehrere Berater*innen erzählen, dann häufiger auch familiäre Fragen (etwa zu Trennung und Unterhalt), der Familiennachzug oder persönliche Probleme ein Thema in der Beratung.
Wichtige Beratungsthemen sind zudem Kindergarten, Schule und (Aus-)Bildung. Die Caritas-Beraterinnen berichten über den regelmäßigen Austausch mit Schulen und der kommunalen Schulberatung, um Klient*innen bei der Wahl der Schule für ihre Kinder und der Anmeldung zu unterstützen. Auch bei aufenthaltsrechtlichen Fragen sowie bei behördlichen Anforderungen benötigen viele Ratsuchende Unterstützung. Anna Krawczyk von der Diakonie erklärt, die MBE sei wie ein Wegweiser und böte den Ratsuchenden „Orientierung im Dschungel“. Sie würden behördliche Briefe und komplexe Formulare erklären, soziale Rechte erläutern oder an Fachstellen weitervermitteln. Eine Beraterin der LmDR beschreibt, sie würden oftmals EU-Bürger*innen unterstützen, die von ihren Arbeitgebern ausgebeutet würden, wenn sie ihre eigenen Rechte als Arbeitnehmer*innen (noch) nicht genau kennen würden.
Diakonie-Beraterin Natalja Letuschow sagt: „Wie wichtig die Beratungsstellen für die Ratsuchenden sind, habe ich selbst erfahren. Als ich damals nach Deutschland kam, hat mir Beratung sehr beim Ankommen geholfen. Mein Gefühl ist, dass es vielen Ratsuchenden heute genauso geht.“
Vorteil Großstadt: ein breites Beratungsnetzwerk
Die strukturellen Unterschiede zwischen dem Umland und der Großstadt Hannover schlagen sich auch im Beratungsalltag nieder. Das DRK unterhält einen MBE-Standort in Barsinghausen (35.000 Einwohner*innen), das mit der S-Bahn oder dem Auto gut 30 Minuten von Hannover entfernt liegt. Hier gäbe es, so die Beraterin, neben der MBE und einem AWO-Frauentreff kaum weitere Anlaufstellen für Zugewanderte. Eine Verweisberatung sei dadurch deutlich schwieriger, gerade wenn Ratsuchende nicht sehr mobil sein könnten. In der Landeshauptstadt existieren hingegen neben den bundesgeförderten Programmen wie MBE und JMD zahlreiche weitere Beratungsangebote für Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte, die vom Bund, vom Land, von der EU oder von der Kommune gefördert oder von den Trägern selbst finanziert werden. All diese Beratungsangebote – ob im eigenen Haus oder bei anderen Organisationen – sind eng miteinander vernetzt.
Bei der Diakonie ist die MBE Teil des Bereichs Pro Migration, zu dem die Flüchtlingsberatung, die Beratung papierloser Menschen, die inklusive Migrationsberatung und HIPPY, ein Hausbesuchsprogramm für Eltern mit Kindern im Vorschulalter gehören. Bei der Caritas richtet sich das Projekt OsiRo an Sinti und Roma und das Projekt EhAP Plus an Zugewanderte aus der EU, während bei CariGuide die Arbeitsmarktintegration im Fokus steht und die Bildungsberatung junge Zugewanderte bei der Aufnahme oder Fortsetzung ihres Studiums unterstützt. Beim DRK arbeiten Kolleg*innen im Haus beim Suchdienst oder im Bereich Familienzusammenführung. Darüber hinaus bieten AWO, Caritas und Diakonie eine Integrationsberatung für jene Zugewanderten, die nicht mehr zur Zielgruppe der MBE gehören, und sind zudem Träger der Jugendmigrationsdienste in Hannover. Angebote der allgemeinen Sozialberatung kommen bei den Verbänden noch hinzu.
Neben diesen vielfältigen Beratungsangeboten gibt es in Hannover zahlreiche weitere Anlaufstellen. So besteht beispielsweise für das in der MBE-Beratung wichtige Thema der Anerkennung ausländischer Berufs- und Hochschulabschlüsse im Rahmen des IQ Netzwerks Niedersachsen eine eigene Anerkennungsberatung durch die IHK Hannover für Menschen aus der Region Hannover und den angrenzenden Landkreisen.
Durch dieses dichte Netzwerk können MBE-Mitarbeiter*innen Ratsuchende mit spezifischen Problemlagen oder Menschen, die nicht zur MBE-Zielgruppe gehören, gut an die Kolleg*innen im eigenen Haus oder an andere Beratungsstellen verweisen. Einrichtungen wie die Familien- oder die Schwangerschaftsberatungsstellen machen wiederum Ratsuchende auf die Angebote der MBE aufmerksam.
Um die Zusammenarbeit zu stärken und sich untereinander auszutauschen, treffen sich Wohlfahrtsverbände und Beratungsstellen aus Stadt und Region Hannover viermal im Jahr im Fachausschuss Migration. Außerdem kommen die MBE-Berater*innen seit vielen Jahren zweimal jährlich in großer Runde für einen Austausch zusammen.
Die Zusammenarbeit mit den Trägern von Sprach- und Integrationskursen
Neben diesem Beratungsnetzwerk arbeitet die MBE eng mit den Trägern der Integrations- und Sprachkurse zusammen. Zum Start der Integrationskurse stellen die MBE-Berater*innen den Teilnehmer*innen sich und das Angebot der MBE vor. Regelmäßig bieten die MBE-Berater*innen zudem in den Räumlichkeiten der Sprachkursträger eine Erstberatung an, die vor allem dem Kennenlernen und der Schilderung der Problemlage dient. Ratsuchende werden dann entweder an andere Stellen weiterverwiesen oder zu ausführlichen Beratungsgesprächen eingeladen.
Die MBE und die kommunalen Behörden
Zur Arbeit der MBE gehört auch der enge Austausch mit den kommunalen Akteuren, der sowohl in breiteren Netzwerken als auch unmittelbar mit einzelnen Behörden stattfindet. Ein besonderes Austauschformat ist dabei das in zehn Regionalverbünden organisierte Netzwerk Kooperative Migrationsarbeit Niedersachsen (KMN). Im Regionalverbund Hannover der KMN sind die vom Land und vom Bund geförderten Beratungsstellen, darunter auch die MBE, die Koordinierungsstellen für Migration und Teilhabe, die BAMF-Regionaldirektion, Ausländerbehörden, Jobcenter, migrantische Selbstorganisationen und weitere im Feld tätige Akteure miteinander vernetzt.
Zwischen den Wohlfahrtsverbänden und dem Jobcenter der Region Hannover, das auch für die Landeshauptstadt zuständig ist, finden vierteljährlich Treffen statt. Die MBE beziehungsweise die Trägerverbände sammeln ihre Anliegen und besprechen mit dem Jobcenter, wie die Zusammenarbeit verbessert werden kann.
Bei der Ausländerbehörde der Region Hannover, die für das Umland zuständig ist, bieten die Diakonie und weitere Verbände eine Orientierungsberatung für Zugewanderte an. Auch bei der Ausländerbehörde der Landeshauptstadt gibt es ein solches Beratungsangebot. Hier ist die Caritas mit den Kolleg*innen von MBE, JMD und CariGuide Teil des Willkommensfachdienstes, mit dem kommunale Stellen und freie Beratungseinrichtungen gemeinsam eine soziale Beratung in den Räumlichkeiten der Ausländerbehörde anbieten.
Insgesamt seien, so die Berater*innen der MBE, die Mitarbeiter*innen der Behörden – neben den Jobcentern etwa auch die kommunalen Sozialämter und die Wohngeldstellen – gut erreichbar; einzig bei den Ausländerbehörden klappe der Kontakt nur teilweise.
Ziele der Beratung
„Das Ziel unserer Beratungsarbeit ist nicht die jahrelange Begleitung der Ratsuchenden, sondern die Hilfe zur Selbsthilfe,“ sagt die DRK-Beraterin. Natalja Letuschow (Diakonie) ergänzt: „Wir freuen uns immer auch, wenn die Ratsuchenden nicht mehr kommen, weil wir wissen, dass sie jetzt alles eigenständig erledigen können.“
Die MBE in Stadt und Region Hannover
Arbeiterwohlfahrt Region Hannover (mit Standorten in Hannover, Garbsen, Langenhagen und Lehrte)
Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e.V. (mit einem festen und drei mobilen Standorten in Hannover; der Teilbereich der Beratung für Spätaussiedler*innen erfolgt niedersachsenweit)
Caritasverband Hannover (mit einem Standort in Hannover)
Diakonisches Werk Hannover (mit Standorten in Hannover und Garbsen)
DRK Region Hannover (mit Standorten in Hannover und Barsinghausen)