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Spotlight Landkreis Lörrach: „In der ländlichen Region braucht es Beratung zu allem“

Wie leicht ist es, eine Wohnung, einen Arbeitsplatz oder einen passenden Sprachkurs zu finden? Komme ich mit Bus und Bahn von meinem Wohnort zum Arbeitsplatz? Gibt es vor Ort Sprachkurse? Wie weit ist der Weg zur Beratungsstelle? Diese und viele weitere Fragen stellen sich in besonderer Weise für Zugewanderte, die in ländlichen Regionen Deutschlands leben. Diese Fragen prägen zugleich die Arbeit der MBE abseits der Ballungsregionen.

Die Rahmenbedingungen

Im äußersten Südwesten Deutschlands an der Grenze zu Frankreich und zur Schweiz, im Landkreis Lörrach, leben rund 235.000 Menschen. Der Landkreis ist geprägt von den vier Mittelstädten Lörrach, Rheinfelden, Weil am Rhein und Schopfheim sowie 31 weiteren Städten und Gemeinden, von denen ein gutes Drittel weniger als 1.000 Einwohner*innen hat. Der Anteil der Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft im Landkreis lag Ende 2023 bei 19,1 Prozent.[1]

In der Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE) im Landkreis Lörrach arbeiten die Caritas, das Deutsche Rote Kreuz und die Diakonie mit insgesamt 3,1 Vollzeitstellen. Die Rahmenbedingungen der Beratung unterscheiden sich allerdings deutlich. Weil am Rhein beispielsweise, wo die Diakonie ihren Beratungsschwerpunkt hat, ist – wie einige weitere Kommunen des Landkreises – Teil der Metropolregion Basel. Der nördliche Teil des Landkreises mit den vielen kleinen Gemeinden im Schwarzwald ist dagegen sehr ländlich geprägt. Die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ist hier mitunter schwierig. Die daraus resultierenden Mobilitätshürden können gerade für Zugewanderte, die häufig nicht sofort ein Auto haben, ein Problem darstellen. Die Beratungsstellen der MBE arbeiten daher mit festen und mobilen Standorten, um für Ratsuchende gut erreichbar zu sein.

Die Ratsuchenden der MBE

Wie andernorts ist die Gruppe der Ratsuchenden auch bei der MBE im Landkreis Lörrach sehr heterogen. Derzeit suchen vor allem folgende Zielgruppen hier Rat: erstens EU-Bürger*innen, zweitens anerkannte Geflüchtete, insbesondere aus Syrien, und drittens Menschen aus Drittstaaten, die in vielen Fällen mit einem Arbeitsvisum nach Deutschland gekommen sind.

Eine Besonderheit besteht in Baden-Württemberg bei den Unterstützungsangeboten für die Zielgruppe der Geflüchteten. Schutzsuchende, die noch in Landesunterkünften leben, werden – wie in anderen Bundesländern auch – von der dortigen Sozialarbeit unterstützt. Wenn sie dort ausziehen und in die Zuständigkeit der Kommunen wechseln, ist – innerhalb der ersten drei Jahre – zunächst das landesgeförderte Integrationsmanagement für sie zuständig, das entweder die Wohlfahrtsverbände oder die Kommunen selbst übernehmen. Zwar soll mit dem Integrationsmanagement die Integration der Geflüchteten abgeschlossen sein. Doch in der Praxis ist das oft nicht der Fall, gerade weil mit der eigenen Wohnung, der Arbeitsaufnahme oder der Familiengründung neue Fragen entstehen.

Ratsuchende kommen mit vielfältigen Themen in die Beratung der MBE. Hierzu gehören unter anderem Spracherwerb, Arbeit und Ausbildung, Wohnen, Kindergarten- und Schulplätze.

MBE als Anlaufstelle für alles

In Ballungszentren wie der Region Hannover, in Berlin oder im Ruhrgebiet bestehen zahlreiche spezialisierte Beratungsangebote zu unterschiedlichen Themen – Familienberatung, Schwangerschaftsberatung, Schuldnerberatung, psychosoziale Beratung und vieles mehr. Die Situation im Landkreis Lörrach ist dagegen komplizierter. In den vier Mittelstädten gibt es verschiedene Beratungsstellen, an die die MBE Ratsuchende bei Bedarf weiterverweisen kann. Außerdem sind dort engagierte Migrant*innenselbstorganisationen aktiv. In den kleineren Gemeinden des Landkreises hingegen ist die MBE zumeist das einzige Beratungsangebot. Das Fehlen einer breiten Beratungslandschaft hat Auswirkungen auf die Beratungsarbeit, wie Mona Steinebrunner und Martin Holz von der MBE der Caritas im Landkreis Lörrach berichten. Die Beratung erfolge zu allen Themen und es sei deutlich schwieriger, Ratsuchende an andere Beratungsstellen weiterzuleiten.

„In der ländlichen Region braucht es Beratung zu allem,“ erklärt Mona Steinebrunner. So habe es etwa für Familien im nördlichen Landkreis Lörrach bisher keine einzige Anlaufstelle gegeben. „Die Familien- oder auch die Frauenberatung ist dort sehr weit weg. Dort, wo Familien ‚ab vom Schuss‘ wohnen, fährt zweimal am Tag der Bus. Das sind dann Tagesausflüge zur Beratungsstelle! Wir müssen also alles abdecken, um die Familien zu unterstützen.“ Die MBE-Berater*innen seien dadurch aber auch eng vernetzt mit Schulen und Kindergärten. Erfreulicherweise sei in Schönau am 28. September 2024 ein kommunales Familienzentrum eröffnet worden. Eine solche Einrichtung habe es dort lange nicht gegeben.

Video: Auf Augenhöhe - Migrationsberatung für Erwachsene, Bericht des Evangelischen Rundfunkdienstes Baden über die Migrationsarbeit der Diakonie im Landkreis Lörrach vom 4. Oktober 2024

Wohnen, Sprache und Arbeit

Der Einstieg von Ratsuchenden in den Arbeitsmarkt gelingt im Landkreis Lörrach relativ gut. Denn der Landkreis ist eine Urlaubsregion mit vielen Hotels und Restaurants, zudem ist hier relativ viel produzierendes Gewerbe angesiedelt. Hinzu kommt ein weiterer Vorteil ländlicher Regionen: Gerade auf dem Dorf kenne man sich untereinander, berichtet Caritas-Beraterin Mona Steinebrunner. Die MBE könne daher auch direkt bei Betrieben, bei Hotels und bei Restaurants anrufen und nachfragen, ob Stellen verfügbar seien. Gerade bei Fachkräften sei die Vermittlung in einigen Branchen allerdings deutlich schwieriger. So sei etwa im Pflegebereich die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen aufwendig. Kindergärten würden auch Stellen anbieten, hier sei aber ein bestimmtes Sprachniveau gefordert.

Für die MBE wiederum ist die Vermittlung von Ratsuchenden in Sprach- und Integrationskurse, auch wenn es im Landkreis fünf Sprachschulen gibt, eine große Herausforderung. Wenn die Menschen einen Sprachkurs machen möchten oder müssen, werden sie zuerst von der jeweiligen Sprachschule eingestuft. Oft heiße es dann, dass sie vor dem Integrationskurs einen Alphabetisierungskurs machen müssten. Alphabetisierungskurse seien aber schon länger nicht mehr angeboten worden, erläutert MBE-Berater Martin Holz, weil die entsprechenden Lehrkräfte fehlten. „Menschen werden so ein stückweit ausgebremst,“ sagt Mona Steinebrunner.

Die Sprach- und Integrationskurse sind zudem fast die einzige Möglichkeit, strukturiert Deutsch zu lernen. Denn im Gegensatz zu den Mittelstädten gibt es in den ländlichen Gebieten des Landkreises keine Sprachcafés oder ehrenamtlichen Deutschkurse. So können sich Ankommen, Integration und Teilhabe von zugewanderten Menschen verzögern. Bei der Caritas sind beispielsweise einige Frauen in der Beratung, die schon lange in Deutschland leben, aber durch Kinderbetreuung oder traumatische Ereignisse keine Sprach- oder Integrationskurse besuchen konnten und nun schon lange auf ein Integrationskursangebot warten.

Ein grundsätzliches Problem im Landkreis Lörrach sind die vergleichsweise hohen Mieten. Denn viele Menschen pendeln zum Arbeiten aus Landkreis in die Schweiz. Dadurch steigen sowohl die Kaufkraft als auch die Mieten. Für Zugewanderte und Schutzsuchende kann das mitunter bedeuten, dass sie trotz eines Arbeitsplatzes auf Wohngeld angewiesen sind. Da die Beantragung komplex und oft nicht leicht zu durchschauen ist, suchen diese dann oft die Unterstützung der MBE. So kann selbst bei Menschen, die nicht mehr Bürgergeld erhalten (oder nie erhalten haben), ein Beratungsbedarf fortbestehen.

Die Zusammenarbeit von MBE und Behörden

Die Zusammenarbeit zwischen Beratungsstellen und den Behörden läuft nach Einschätzung der Berater*innen einerseits gut, was auch daran liege, dass sich die Menschen, die in der MBE und in den Verwaltungen arbeiten, untereinander oft kennen würden und immer wieder in Kontakt seien. In den insgesamt vier Ausländerbehörden des Landkreises, beim Landratsamt und in den einzelnen Rathäusern seien die zuständigen Personen für die Berater*innen in der Regel gut erreichbar. „Die Verwaltungen sehen auch, dass Prozesse oft besser funktionieren, wenn sie mit der MBE in Kontakt sind,“ sagt Martin Holz (Caritas).

Andererseits seien die Behörden seit der Corona-Pandemie nicht mehr so gut und niedrigschwellig zugänglich wie früher. „Wie soll ich die Menschen darin fördern selbständig zu werden, wenn die Ratsuchenden keine Kontaktdaten der Mitarbeiter*innen haben? Die Behörden verweisen immer auf digitale Zugänge,“ berichtet Berater Martin Holz. Doch diese seien teilweise nur auf Deutsch verfügbar. Zudem seien einige Zugewanderte im Umgang mit den digitalen Endgeräten nicht so bewandert, um die Online-Zugänge zu verstehen und damit selbständig umzugehen. Daher kämen die Ratsuchenden dann wieder in die Beratung.

Ein weiteres Problem für die MBE-Beratung sei insbesondere, dass Behörden sehr schnell an sie verwiesen, wenn Menschen die Formulare nicht perfekt ausfüllen könnten. „Wenn jemand noch nicht perfekt Deutsch spricht, heißt es dann schnell: ‚Gehen Sie zur Caritas!‘“, berichtet Mona Steinebrunner. „Manche Behörden denken, wir sind für jeden Menschen da, der nicht perfekt Deutsch spricht – egal in welchem Zusammenhang,“ ergänzt Martin Holz. „Eigentlich sollte es in den Behörden selbst Anlaufstellen geben, die den Ratsuchenden Orientierung geben.“ Diese aber würden fehlen. Und eine Formularhilfe ist auch keine Aufgabe der MBE.

MBE in den kommunalen Netzwerken

Neben der Beratung selbst ist die MBE Teil der kommunalen Netzwerke im Bereich Integration. Das wichtigste Gremium ist der von der Integrationsbeauftragten initiierte Arbeitskreis Migration, zu dem sich alle mit Fragen der Migration befassten Akteure zweimal im Jahr im Landratsamt treffen. Im Fachkreis Migration wiederum, bei dem es vorwiegend um finanzielle Fragen und die Gemeinschaftsunterkünfte geht, sind die Beratungsstellen mit der Kommunalpolitik im Landkreis im Austausch. Ein enger Austausch besteht zudem mit der Integrationsbeauftragten des Landkreises, die, so die Kolleg*innen der Caritas, die Herausforderungen der MBE kenne und wisse, was man verbessern könne. Einen guten Austausch gibt es auch zwischen der MBE und den Mitarbeitenden des Jobcenters, die dort hinsichtlich des Job-Turbos für die einzelnen Kommunen zuständig sind.

Die MBE im Landkreis Lörrach

Caritasverband für den Landkreis Lörrach

Diakonisches Werk im Landkreis Lörrach

DRK, LV Badisches Rotes Kreuz

Weiterlesen

Wie die Integrationsarbeit der Caritas im ländlichen Raum funktioniert, in: Badische Zeitung vom 27. Dezember 2024 [Paywall]

Wichtige Anlaufstelle für Zugewanderte, in: Die Oberbadische/Markgräfler Tagblatt/Weiler Zeitung vom 21. Dezember 2024

Auf Augenhöhe - Migrationsberatung für Erwachsene, Video des Evangelischen Rundfunkdienstes Baden vom 4. Oktober 2024

Migrationsberatung im Kreis Lörrach: Erfolgsgeschichten trotz knapper Mittel, in: Badische Zeitung vom 25. September 2024 [Paywall]

Fußnote

[1] Vgl. Landkreis Lörrach, Zahlen, Daten und Fakten, Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Bevölkerungszahlen vom 30.09.2023 sowie Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Bevölkerung nach Nationalität, Landkreis Lörrach.



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