Spotlight Landkreis Waldshut: „Im ländlichen Raum gibt es nur uns.“
Wie die Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte in der Praxis aussieht, hängt stark von ihrem Umfeld ab. Zwar ähneln sich die Themen der Ratsuchenden vielerorts. Aber wie der Austausch mit Behörden funktioniert, wie sich die Suche nach einem Arbeitsplatz oder einer Wohnung gestaltet oder ob das Sprachkursangebot zu den Bedarfen passt, unterscheidet sich zwischen Ballungszentren, Mittelstädten und ländlichen Räumen teilweise erheblich. Das zeigt eindrücklich der Blick auf die MBE im südbadischen Landkreis Waldshut.
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Die Rahmenbedingungen
„Manchmal beginnt meine Beratung schon morgens in der Bahn!“, erzählt Katrin Huber. Sie arbeitet bei der Caritas in der Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE) im Landkreis Waldshut. Der im äußersten Süden Deutschlands an der Grenze zur Schweiz gelegene Landkreis ist mit 174.000 Einwohner:innen eher klein. Die meisten Kommunen haben nur wenige tausend Einwohner*innen. Viele Menschen kennen sich untereinander. Und so treffen sich Berater*innen und Ratsuchende mitunter schon auf der Hochrheinstrecke zwischen Wehr, Bad Säckingen und Waldshut-Tiengen, den einzigen Kommunen im Landkreis, in denen mehr als 10.000 Menschen leben.
Einzige Trägerin der MBE-Beratung im Landkreis Waldshut ist die Caritas mit 1,8 Vollzeitstellen (ab 2025 werden 1,6 davon aus Bundesmitteln gefördert). Ergänzend übernimmt die Diakonie im angrenzenden Landkreis Lörrach die Beratung für Ratsuchende in vier Kommunen des Landkreises. Die Caritas ist mit ihren Standorten Waldshut-Tiengen (im Westen des Landkreises) und Bad Säckingen (im Osten) für Ratsuchende, die entlang der Hochrheinstrecke leben, gut erreichbar. Zugewanderte in den kleinen Schwarzwaldgemeinden haben aber eine oft langwierige und mit Umstiegen verbundene Anfahrt zur Beratungsstelle. Viele ihrer Beratungen, auch zu komplexen Fragen, erfolgen daher per Mail und Telefon. Auch Gruppenangebote der MBE sind für die Caritas hürdenreicher. „Wir müssen dann Fahrdienste organisieren, damit die Menschen anschließend wieder nach Hause kommen,“ berichtet Sarah Sprenger, Fachbereichsleiterin Migration der Caritas im Landkreis.
Die Ratsuchenden und die Aufteilung der Beratungsarbeit
Der größte Teil der Ratsuchenden bei der Caritas sind Geflüchtete insbesondere aus Syrien und der Ukraine. Hinzu kommen EU-Bürger*innen und Menschen aus Drittstaaten, die oft mit einem Arbeitsvisum nach Deutschland gekommen seien. Insgesamt sei die Auslastung der Beratungsstelle sehr hoch, so Katrin Huber und Sarah Sprenger.
Hinsichtlich der Beratung von Schutzsuchenden im Landkreis Waldshut haben sich die Träger des landesgeförderten Integrationsmanagements, der kommunalen Flüchtlingssozialarbeit in den Gemeinschaftsunterkünften sowie die MBE aus Ressourcengründen auf eine inhaltliche Aufgabenteilung verständigt. Die MBE berät Geflüchtete vorrangig zu Fragen des Familiennachzugs und des Aufenthaltsrechts. „Dafür sind wir einfach besser aufgestellt mit unseren Schulungen und der juristischen Expertise im Verband,“ erklärt Beraterin Katrin Huber. Auch die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen übernimmt die MBE und arbeitet dabei mit der Anerkennungsberatung in Freiburg zusammen. Diese ist für Ratsuchende aus dem Landkreis Waldshut zwar nicht gut erreichbar, dafür aber gelegentlich zur Beratung vor Ort.
Während Integrationsmanagement und Flüchtlingssozialarbeit Geflüchtete bei diesen Themen an die MBE verweisen, schickt die Migrationsberatung diese bei anderen Fragen, etwa zum Jobcenter oder zur Wohnsituation, wiederum zu den Kolleg*innen. In den vier Kommunen im Landkreis, in denen die Caritas auch das Integrationsmanagement übernommen hat, werden Ratsuchende innerhalb des eigenen Verbandes weitervermittelt.
Bei den anderen Gruppen der Ratsuchenden – EU-Bürger*innen und Zugewanderte aus Drittstaaten – berät die MBE zu allen Themen. „Die Ratsuchenden wünschen sich, was alle Menschen auf der Welt suchen und was wir auch in Deutschland selbst suchen,“ berichtet Beraterin Katrin Huber. Themen seien etwa Wohnung, Arbeit, Kindergarten oder Schule. „Der erste Kontakt entsteht aber meist mit Fragen zur Arbeit und zur finanziellen Sicherheit.“ Oft könne die MBE dann beispielsweise feststellen, dass Familienleistungen nicht beantragt worden seien, obwohl ein Anspruch bestehe.
Mitunter seien es auch Nachbar*innen, die sich melden würden, um auf Probleme hinzuweisen, die Zugewanderte hätten. Katrin Huber weist auf die Besonderheiten einer ländlich geprägten Region wie dem Landkreis Waldshut hin: „Man kennt sich untereinander und trifft sich immer wieder. Es wird nach den Nachbarn geschaut und sich auch gekümmert. Im ländlichen Raum spielt aber auch die soziale Kontrolle eine Rolle.“ Bedeutsam sei zudem das Fehlen von migrantischen Selbstorganisationen. Zugewanderte seien dadurch untereinander kaum verbunden. Nachbarschaften seien daher auch wichtig, um den Weg zu Beratungsstellen zu weisen. Nur bei den vielen im Landkreis lebenden Italiener*innen sei es anders. Es gebe zwar keine Selbstorganisation, aber die italienische Community sei untereinander gut vernetzt und unterstütze sich gegenseitig bei Fragen von Integration und Teilhabe.
Deutsch lernen als Herausforderung im ländlichen Raum
Wie überall ist das Deutschlernen ein wichtiges Thema in der Beratungsarbeit. Die Herausforderungen in einer ländlichen Region werden dabei aber schnell sichtbar. „Innerhalb von drei Monaten ein Angebot auf einen Integrationskurs zu erhalten, wie es eigentlich vorgesehen ist, funktioniert hier einfach nicht,“ berichtet Fachbereichsleiterin Sarah Sprenger. Im Landkreis Waldshut gebe es zwar vier Integrationskursträger (zwei in Waldshut-Tiengen, einen in Bad Säckingen und einen kleinen Träger im Schwarzwald). Für die Kurse seien die Wartezeiten aber lang. So könne etwa der nächste Alphabetisierungskurs im Landkreis voraussichtlich erst 2026 starten. Hier fehle schlicht die Lehrkraft, die einen solchen Kurs durchführen könnte. Und selbst wenn es ein Angebot gebe, könne es oft nicht angenommen werden, weil die Wege weit seien und der Nahverkehr nicht gut ausgebaut sei. Denn über ein eigenes Auto verfügen neu Zugewanderte oftmals noch nicht.
„Die Menschen warten oft eine Stunde auf den Bus zum Deutschkurs,“ sagt Beraterin Katrin Huber. „Selbst wenn es einen Integrationskurs mit Kinderbetreuung gibt, kann ein Besuch für Zugewanderte je nach Wohnort schwierig werden. Denn wenn zugleich noch ein Kind morgens zur Schule muss, schaffen es die Eltern bei den weiten Wegen und den ungünstigen Busverbindungen nicht, sowohl am Integrationskurs teilzunehmen als auch rechtzeitig wieder zu Hause zu sein, wenn das Kind aus der Schule kommt.“
Solche Verzögerungen beim Deutsch lernen können zum einen aufenthaltsrechtliche Folgen haben, wenn die Ausländerbehörden eine Aufenthaltserlaubnis an einen erfolgreichen Besuch des Integrationskurses koppeln oder wenn die Voraussetzungen für die unbefristete Niederlassungserlaubnis erst später erreicht werden können. Zum anderen ist der Berufseinstieg ohne gute Deutschkenntnisse erschwert.
Angesichts der Schwierigkeiten weisen die MBE-Berater*innen Ratsuchende auf kostenlose Online-Angebote und Apps hin, damit zumindest erste Grundlagen gelegt werden könnten. Auch ehrenamtliche Engagierte sind wichtig, in dem kleinen Landkreis gibt es allerdings nur wenige, die beim Deutsch lernen helfen können.
Arbeiten und Wohnen im ländlichen Raum
„Mit Arbeit können Zugewanderte ihr Deutsch verbessern,“ sagt Caritas-Beraterin Katrin Huber. „Da ist viel Potential im Landkreis aber nicht ausgeschöpft.“ Das läge nicht so sehr an den Zugewanderten, sondern vor allem an der Zurückhaltung der Arbeitgeber*innen. Selbst für hochqualifizierte Fachkräfte sei die Suche nach einem Arbeitsplatz schwierig. Katrin Huber berichtet von Ingenieur*innen in ihrer Beratung, die keine Arbeit fänden, weil ihre Deutschkenntnisse den Firmen nicht ausreichten. Auch sehr gute Englischkenntnisse als Alternative würden nicht akzeptiert. „Die ländliche Region ist konservativer. Hier wird erwartet, dass die Menschen gutes Deutsch sprechen. Dabei genügt es nicht, Deutsch zu sprechen und zu verstehen. Es muss ein sehr gutes Deutsch sein.“
Ein Vorteil an der ländlichen Region sei allerdings, dass persönliche Kontakte die Arbeitssuche erleichtern würden, so Katrin Huber. Die MBE-Berater*innen würden viele Betriebe kennen und wüssten, wen man für offene Stellen anfragen könne. „Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist bei uns auf dem Land aber viel schwieriger,“ ergänzt Sarah Sprenger von der Caritas und verweist auf die oftmals weiten Wege zwischen Wohnung, Arbeit und Schule oder Kindergarten.
Wie schon die Arbeitsplatzfrage ist auch die Wohnungssuche kompliziert. Zum einen arbeitet jede*r fünfte Erwerbstätige im Landkreis Waldshut in der Schweiz. Weil dort die Löhne höher liegen, bringen diese „Grenzgänger*innen“ Kaufkraft in den Landkreis. Die Folge sind höhere Mieten. Zum anderen gibt es im Landkreis Waldshut nur wenig öffentlich geförderten Wohnraum, kaum Immobilienfirmen mit vielen Mietwohnungen und praktisch keine großen Gebäude. Dafür dominieren private Vermieter, die oft nur ein oder zwei Wohnungen vermieten würden. Aspekte wie die Sprachkenntnisse der potenziellen Mieter*innen seien, so die Einschätzung der Caritas, vielen Vermieter*innen besonders wichtig. Durch solche Vorbehalte sind Zugewanderte bei der Wohnungssuche diskriminiert und finden schwerer eine eigene Wohnung.
Die Zusammenarbeit von MBE und Verwaltungen
Die Zusammenarbeit zwischen Beratungsstellen und Verwaltungen läuft aus Sicht von Katrin Huber und Sarah Sprenger „ganz gut“. Man kenne sich und sei in einem guten Austausch. Zweimal im Jahr etwa würden sich die Fallmanager*innen der Jobcenter und die Berater*innen von MBE und Jugendmigrationsdiensten zu übergreifenden Besprechungen treffen. Mit beiden Ausländerbehörden – es gibt eine für den Landkreis und eine für die Stadt Waldshut-Tiengen – laufe der direkte Austausch ebenfalls gut. Die Familienkasse allerdings sei auch für die Berater*innen telefonisch oft nicht erreichbar, so dass es dauere, bis Angelegenheiten geklärt werden könnten.
„Wir sind auch viel mit den einzelnen Rathäusern in Kontakt,“ erklärt Katrin Huber. „Die Wege sind bei uns kurz. Wir bekommen von dort auch Hinweise auf neu in die Kommune gezogene Familien zugeleitet.“ In einem Trägernetzwerk würden sich Beratungsstellen, BAMF, Sprachkursträger, Ausländerbehörden und der Helferkreis Asyl regelmäßig austauschen. Insgesamt laufe der Austausch aber weniger in großen Runden, sondern direkt zwischen den einzelnen Institutionen.
Für die Ratsuchenden sei der Kontakt zu den Verwaltungen allerdings schwieriger. Früher habe man die Menschen direkt zu den Verwaltungen schicken können, um Anträge abzugeben. Heute seien die Öffnungszeiten überall eingeschränkt und die Behörden seien schlechter erreichbar. Es sei dadurch für die Ratsuchenden nicht mehr so leicht, die eigenen Anliegen bei den Verwaltungen vorzubringen. „Bei vielen Verwaltungen findet Beratung vor Ort nicht statt,“ so Katrin Huber. Die Menschen hätten dadurch keine Anlaufstelle mehr außer der MBE. „Im ländlichen Raum gibt es nur uns.“
Beraterin Katrin Huber fasst die Arbeit der Migrationsberatung zusammen: „Unser großes Ziel ist die Selbständigkeit der Ratsuchenden. Wir arbeiten darauf hin, dass die Menschen alle Angelegenheiten selbstständig regeln können.“ Und Fachbereichsleiterin Sarah Sprenger ergänzt: „Aber es braucht die MBE, bis die Prozesse in Gang gekommen sind.“
Die MBE im Landkreis Waldshut
Caritasverband Hochrhein e.V. (mit den Standorten Waldshut-Tiengen und Bad Säckingen)
Diakonisches Werk im Landkreis Lörrach (Standort Rheinfelden für die Kommunen Wehr, Muhr, Laufenburg, Albbruck des Landkreises Waldshut)
Fotonachweis
Die Verwendung des Fotos und der Grafik erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Caritasverbandes Hochrhein e.V. Für beide: © Caritasverband Hochrhein.