Spotlight Leipzig: Enges Netzwerk zwischen Migrationsberatung und Kommune
In der größten Stadt Sachsens hat sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Migrationsberatungsstellen und der Kommune etabliert. Zugleich kooperieren auch die Beratungsstellen selbst eng miteinander. Das Modell hat Vorbildcharakter.

Dort sein, wo der Bedarf ist. Die Beratungsarbeit in Leipzig
Rund 630.000 Menschen leben in Leipzig, der größten Stadt Sachsens und der achtgrößten Deutschlands. Etwas mehr als 14 Prozent von ihnen – knapp 90.000 Menschen – haben keinen deutschen Pass.[1] Wie in anderen Regionen stehen zugewanderte Menschen auch in Leipzig, wie die Berater*innen der MBE berichten, vor multiplen Herausforderungen. Hierzu gehören zum einen aufenthaltsrechtliche Hürden, die für viele Menschen eine große Belastung darstellen. „Der unsichere Aufenthaltsstatus oder fehlende Dokumente beeinflussen die Lebensrealität vieler Ratsuchenden,“ erläutert Berater Sarbast Akraui vom Verein Mosaik. Zum anderen sei der schwierige Leipziger Wohnungsmarkt mit seinem hohen Mietspiegel und dem Wohnraummangel eine große Herausforderung für Zugewanderte und bisweilen schwieriger zu lösen als die Frage des Arbeitsplatzes. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) berichtete im vergangenen Jahr, dass der Wohnraumbedarf in Leipzig besonders groß sei. Die Zahl der angebotenen Mietwohnungen sei in Leipzig auch im Vergleich zu anderen Großstädten stark gesunken.
Neben diesen aufenthaltsrechtlichen und strukturellen Hürden ist es für viele Zugewanderte herausfordernd, eine auskömmliche Arbeit, weitere Qualifizierungen, ausreichend Zeit für den Sprachkurs und die Kinderbetreuung miteinander zu vereinbaren und bei dieser Prioritätensetzungen auch noch die Anforderungen zu berücksichtigen, die die Ausländerbehörde hinsichtlich des Aufenthaltstitels stellt. Bei all dem kann eine gute Beratung helfen. „Wir unterstützen Ratsuchende dabei, ihre Prioritäten selbst zu erkennen“, sagt Valeria Caprioli vom Verband binationaler Familien über die Beratungsarbeit.
Insgesamt sechs Organisationen bieten in Leipzig eine Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte über 27 Jahren an: die Caritas, das Deutsche Rote Kreuz, Mosaik Leipzig und der Verband binationaler Familien und Partnerschaften, die beide Mitglied im Paritätischen Gesamtverband sind, die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (Mitglied im Bund der Vertriebenen) sowie das Kultur- und Begegnungszentrum Ariowitsch-Haus, deren MBE in der Trägerschaft der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland organisiert ist. Trägerübergreifend kooperieren die Migrationsberatungsstellen mit den Jugendmigrationsdiensten (JMD), unterstützen sich fachlich, teilen Wissen und sind auch mit den kommunalen Behörden der Stadt eng vernetzt.
Die Ratsuchenden kommen unter anderem aus der EU, sind aus Drittstaaten zugewandert oder haben ein Asylverfahren durchlaufen. Der Verband binationaler Familien berät beispielsweise zahlreiche Schutzsuchende aus Venezuela, weil die MBE-Beratung auch direkt auf Spanisch stattfinden kann. Darüber hinaus kommen viele Menschen aus Kamerun in die Beratung. Das liegt daran, dass Berater Éanna O’Donnell im Laufe der Zeit sehr häufig Menschen aus diesem Land beim sehr komplexen und langwierigen Familiennachzug unterstützt hat. Insbesondere der Nachweis der Familieneinheit über schwierig zu beschaffende Urkunden ist hierbei eine Herausforderung. Daher bleiben die Beratungsanfragen in diesem Feld hoch.
„Wir beraten aber nicht nur im Büro, sondern sind auch in der Stadt unterwegs, um Ratsuchende zu erreichen,“ betont Valeria Caprioli. „Unsere Arbeit ist dynamisch: Wir schauen immer, welche Bedarfe es gibt, und bringen uns dann dort ein.“ So berät etwa die MBE des DRK in der Innenstadt, im Stadtteilzentrum Lößnig im Süden sowie in Grünau im Westen der Stadt. Der Verband binationaler Familien ist unter anderem in der Leipziger Oase, der Ökumenischen Kontaktstube für Wohnungslose, aktiv und informiert über das Beratungsangebot der MBE. Denn unter den Menschen, die von Obdachlosigkeit bedroht oder betroffen sind, seien viele Zugewanderte. „Wir löschen viele Feuer. Es kommen viele Leute in prekären Situationen zu uns,“ sagt Beraterin Valeria Caprioli. Gerade die Wohnungssuche sei in Leipzig sehr hürdenreich. Besonders wenn Menschen (noch) keinen Arbeitsvertrag hätten, sei es schwierig, eine Lösung zu finden.
Bei ihrer Arbeit prüfen die Träger der MBE gemeinsam, welche Beratungsbedarfe nicht ausreichend abgedeckt sind, und gestalten Ergänzungen zu den Kernaufgaben flexibel. Das betrifft zum Beispiel die Beratung für arbeitssuchende Männer über 35 Jahre, die aus anderen EU-Ländern zugewandert sind und sonst wenig Unterstützung bei der Bewerbung erhalten – insbesondere, wenn ihr Systemwissen und ihre Deutschkenntnisse gering sind. „Was wir machen, ist die Lücke im System zu erkennen und da zu sein,“ fasst Valeria Caprioli die Beratungsarbeit zusammen.
Diese Beispiele zeigen bereits, dass Austausch und Zusammenarbeit wesentliche Merkmale der MBE-Arbeit sind. „In Leipzig haben wir ein richtig gutes Netzwerk. Für eigentlich jede Problemlage gibt es eine Beratungsstelle,“ erläutert Susan Anger vom DRK. Die verschiedenen Träger würden sich untereinander gut kennen und stünden in einem engen Austausch. Dadurch könne die MBE die Ratsuchenden immer an den Netzwerkpartner mit der thematisch besten Expertise verweisen und sich auf jene Fälle konzentrieren, bei denen sie selbst die geeignetsten Ansprechpartner seien. Andere Beratungsstellen würden Ratsuchende dann wiederum an die MBE verweisen. Gleichwohl könnten die MBE-Stellen und die weiteren Beratungsstellen die vielen Anfragen oft nicht ausreichend abdecken, weil bei den verschiedenen Trägern die Kapazitäten fehlten, um allen Ratsuchenden (ob mit oder, im Falle anderer Beratungsangebote, unabhängig von einer Zuwanderungsgeschichte) auch tatsächlich gerecht werden zu können.
Beratung beim Verband bionationaler Familien und Partnerschaften
Kooperation von Kommune und Migrationsdiensten im Willkommenszentrum
Ein wichtiger Faktor der Beratungsarbeit in Leipzig ist die Zusammenarbeit mit der kommunalen Verwaltung. Die Stadt Leipzig hat im Jahr 2018 ein kommunales Willkommenszentrum (WZL) für Zugewanderte geschaffen, das dem Referat Migration und Integration zugeordnet ist. Von Beginn an seien die Migrationsfachdienste, wie Berater Sarbast Akraui (Mosaik) erläutert, an der Konzeptionierung beteiligt gewesen und hätten auch den Entstehungsprozess eng begleitet. Seit der Eröffnung bieten MBE-Berater*innen vom Verband binationaler Familien, von Mosaik und vom DRK sowie Kolleg*innen der Jugendmigrationsdienste im Willkommenszentrum eine offene Erstberatung ohne Voranmeldung an. Auch die Mitarbeiter*innen des Willkommenszentrums beraten Zugewanderte hier etwa bei der Suche nach einem Kitaplatz oder bei Fragen zum Einfinden in Leipzig.
„Diese gemeinsame Beratung von Stadt, MBE und JMD im Willkommenszentrum läuft richtig gut,“ bekräftigt Beraterin Susann Anger vom DRK. Die MBE schicke zum Beispiel auch Ratsuchende zum Willkommenszentrum, wenn es um spezialisierte Beratungsangebote und themenspezifische Veranstaltungen gehe. Sarbast Akraui ergänzt, dass das Willkommenszentrum Zugewanderten den schnellen Zugang zu den Angeboten von MBE und JMD erleichtert habe. Die Zusammenarbeit in der Einrichtung werde zwischen Kommune und Beratungsstellen jedes Quartal in Auswertungstreffen reflektiert, um die Qualität und das Angebot weiter zu verbessern. „Die Kooperation im Willkommenszentrum ist ein herausragendes Beispiel für erfolgreich vernetzte und integrierte Beratungsarbeit und hat Vorbildcharakter für andere Kommunen.“
Die AG Migrationsfachdienste als „zentrale Instanz“
Die Zusammenarbeit von Beratungsstellen und Kommune beschränkt sich aber keineswegs auf das Willkommenszentrum. Schon seit rund zehn Jahren existiert in Leipzig die AG Migrationsfachdienste. Diese habe sich, wie Sarbast Akraui von Mosaik formuliert, „als zentrale Instanz für die fachliche Vernetzung und den Austausch zwischen den verschiedenen Migrationsdiensten und den kommunalen Regeldiensten etabliert.“
In der AG kommen die Migrationsberatungsstellen von MBE und JMD und das Referat Migration und Integration der Stadt Leipzig[2] monatlich zusammen, tauschen sich fachlich aus und besprechen, wo ein besonderer Beratungsbedarf in der Stadt entstanden ist und wer diesen abdecken kann. Darüber hinaus werden zu jeder Sitzung Vertreter*innen unterschiedlicher Behörden, Institutionen und Beratungsstellen eingeladen, etwa der Leiter der kommunalen Ausländerbehörde, die Integrationsbeauftragte der Stadt Leipzig, das Jobcenter, das Fachinformationszentrum Zuwanderung, das Teil des bundesgeförderten IQ Netzwerks Sachsen ist und sich um Fragen der Zuwanderung in den sächsischen Arbeitsmarkt kümmert, oder die Schuldnerberatung als allgemeines Beratungsangebot.
Die AG Migrationsfachdienste bietet damit den festen Rahmen für einen strukturierten Austausch und eine effektive Kommunikation zwischen den Migrationsberatungsstellen, den kommunalen Behörden und weiteren Beratungseinrichtungen. „Durch die Zusammenarbeit mit dem Referat Migration und Integration und dessen kurzen Draht zu den anderen Behörden können wir viele Fragen unkompliziert klären. Das ist so viel wert und auch für die Beratungsarbeit ungemein wichtig,“ erklärt DRK-Beraterin Susan Anger. Auch an den sich vierteljährlich treffenden kommunalen Foren AG Flüchtlingssozialarbeit (zur Unterbringung und Unterstützung von Geflüchteten) und AG EU (zur Situation von obdachlosen EU-Bürger*innen) sind die MBE-Beratungsstellen beteiligt.
Die MBE-Stellen berichten, durch die enge Zusammenarbeit habe sich für sie etwa die Erreichbarkeit der Ausländerbehörde verbessert. Zugleich leiste die AG Migrationsfachdienste einen wichtigen Beitrag zur interkulturellen Öffnung der Kommune. So ermögliche dieses Format, die Bedürfnisse der Zugewanderten zu vermitteln und den kommunalen Stellen Verbesserungsvorschläge zu übermitteln. In der AG würden Herausforderungen und Problemlagen besprochen und effektive Lösungen entwickelt, was wiederum die effiziente Beratung der Ratsuchenden fördere.
Mit dem Leipziger Jobcenter haben die Beratungsstellen von MBE und JMD bereits im Oktober 2011 eine Kooperationsvereinbarung geschlossen, die in den kommenden Jahren mehrmals erneuert wurde. In der ersten Kooperationsvereinbarung wurde „eine zielgerichtete, transparente und vertrauensvolle Zusammenarbeit“ vereinbart, zu der einerseits gehörte, die Klient*innen wechselseitig auf die jeweiligen Angebote und Leistungen von Jobcenter und Migrationsfachdiensten hinzuweisen. Andererseits wurde ein „fallbezogene Absprache“ zwischen Vermittler*innen des Jobcenters und den Berater*innen festgelegt. In der 2019 erneuerten Kooperation, die nun auch die Arbeitsagentur einschloss, wurde die Zusammenarbeit weiter konkretisiert, ein regelmäßiger persönlicher Kontakt vereinbart und ein „Austausch von Fachexpertise zu Maßnahmen der Interkulturellen Öffnung“ festgelegt.
Auf Grundlage der Kooperationsvereinbarung wenden sich die Beratungsstellen mit den konkreten Fällen ihrer Ratsuchenden per E-Mail oder telefonisch an das Jobcenter. Da die Berater*innen über eine Kontaktliste mit den Durchwahlen der Teamleitungen verfügen, können – nach zuvor übermittelter, von den Ratsuchenden unterzeichneten Schweigepflichtsentbindung – Angelegenheiten so auch schnell telefonisch geklärt werden. Mit der Umstellung auf das Online-Portal jobcenter.digital sowie auf verschlüsselte E-Mails seitens des Jobcenters steht für dieses Jahr in Leipzig eine weitere Aktualisierung der Kooperationsvereinbarung an, um die gute Zusammenarbeit auch unter den sich wandelnden technischen Rahmenbedingungen zu gewährleisten.
„Die enge Zusammenarbeit ist auf jeden Fall eine Erfolgsgeschichte in Leipzig,“ sagt MBE-Berater Sarbast Akraui über das langjährige Netzwerk der Stadt. Die Leipziger Netzwerkarbeit der MBE ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein guter träger- und behördenübergreifender Austausch eine effektive, bedarfsorientierte Unterstützung von Ratsuchenden ermöglicht und wie zugleich Synergien geschaffen werden, um effizient und ressourcensparend zu beraten.
Die MBE-Beratungsstellen in Leipzig
Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (Mitglied im Bund der Vertriebenen, BdV)
Mosaik Leipzig e.V. (Mitglied im Paritätischen Gesamtverband)
Verband binationaler Familien und Partnerschaften (Mitglied im Paritätischen Gesamtverband)
Fußnoten
[1] Vgl. Stadt Leipzig, Migrantinnen und Migranten in Leipzig, Ausgabe 2024. Stand ist der 31.12.2023.
[2] Das Referat Migration und Integration gehört in der kommunalen Verwaltung der Stadt Leipzig zum Dezernat Soziales, Gesundheit und Vielfalt. Die kommunale Ausländerbehörde wiederum ist in Leipzig dem Ordnungsdezernat zugeordnet (Stand Februar 2025).
Fotonachweis
Titelbild: Beratung im Willkommenszentrum Leipzig.
Die Verwendung der Fotos erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften. © Verband binationaler Familien und Partnerschaften